Podologische Therapie – Was wissen wir über unsere Patienten?
Als Podologe/in und interessierter Arzt hat man oft den Eindruck, dass in der Fußpflege etwas schiefläuft. Aber was läuft denn schief und wie kann man das Problem erkennen? Zu den ganz einfachen Fragen, zum Beispiel „wie häufig schneidet sich ein Mann mit 50 Jahren die Zehennägel?“ oder „wie häufig cremt er seine Füße ein?“ liegen keine fundierten Daten vor. Wie würden sich diese Antworten mit zunehmendem Alter ändern? Wenn wir langfristig den Mehrwert der podologischen Therapie für die alternde Bevölkerung darstellen wollen, sollten wir den Ist-Zustand kennen. Daher hatte die „Arbeitsgruppe Wissenschaft“ sich die Aufgabe gestellt, mehr über die betroffenen Patienten und den Alltag in podologischen Praxen zu erfahren. Insgesamt hat die Arbeitsgruppe dazu drei Fragebögen entwickelt und an Mitglieder von podo deutschland versandt. Die Resonanz war eindrucksvoll und wir möchten nun einen Überblick über die Ergebnisse geben.
Besonderheiten von Menschen, die eine podologische Therapie erhalten
Mit der ersten Erhebung wollten wir allgemein erfahren, warum die Patienten zur podologischen Therapie kommen. Der Fragebogen wurde im Juli 2015 versandt. Innerhalb von sechs Wochen erhielten wir 1663 anonymisiert ausgefüllte Fragebögen zurück (926 Männer, mittleres Alter ± SD 68 ± 11 Jahre; 737 Frauen, 71 ± 12 Jahre). Die Ergebnisse wurden bereits im FUSS 7/8 2017 publiziert. Kurz zusammengefasst kamen 95,4 Prozent der Patienten regelmäßig zur Therapie. Allerdings wiesen bei der Vorstellung etwa 33 Prozent ein akutes Problem auf. Dabei handelte es sich am häufigsten um eine akute Wunde oder eine Infektion. Die meisten Patienten trugen bei der Vorstellung normale Konfektionsschuhe oder Konfektionsschuhe mit Einlagen. Etwa 11 Prozent der Männer trugen Diabetesadaptierte Schuhe und 21 Prozent orthopädische Maßschuhe. Bei den Frauen waren es 10 Prozent beziehungsweise 14 Prozent. Männer und Frauen mit bereits erfolgter Minor-Amputation hatten häufiger akute Fußprobleme (akute Charcot Deformationen, Infektionen, Knochenbrüche) als Patienten ohne eine solche Amputation (Männer 51,8 % vs. 32,7 %, Frauen 49,1 % vs. 31,1 %). Die wichtigste podologische Maßnahme war bei beiden Geschlechtern die Behandlung von Nägeln, gefolgt von einer Reduktion von Kallus, Anwendung von Druck- und Reibeschutz und Behandlung von Clavi und Veruccae.
Tabelle 1: Fragen des Barthel-Index wie er zur Erhebung der Selbstständigkeit eines Patienten benutzt wird. Die Interpretation des Ergebnisses ergibt sich wie folgt: 0–30 Punkte: weitgehend pflegeabhängig, 35–80 Punkte: hilfsbedürftig, 85–95 Punkte: punktuell hilfsbedürftig, 100 Punkte: Zustand kompletter Selbstständigkeit. Quelle: http://flexikon.doccheck.com/de/Barthel-Index
Funktion
|
Punkte
|
Funktion
|
Punkte
|
---|---|---|---|
Essen
|
Toilettenbenutzung
|
||
Unfähig, allein zu essen
|
0
|
Abhängig von fremder Hilfe
|
0
|
Braucht etwas Hilfe, z. B. beim Fleisch schneiden
oder Butter auftragen
|
5
|
Benötigt Hilfe wg. fehlenden Gleichgewichts
oder beim Ausziehen
|
5
|
Selbstständig, benötigt keine Hilfe
|
10
|
Selbstständig, benötigt keine Hilfe
|
10
|
Baden
|
Bett- bzw. Stuhltransfer
|
||
Abhängig von fremder Hilfe
|
0
|
Abhängig von fremder Hilfe, fehlende
Sitzbalance
|
0
|
Selbstständig, benötigt keine Hilfe
|
5
|
Erhebliche physische Hilfe beim Transfer
erforderlich, Sitzen selbstständig
|
5
|
An- und auskleiden
|
Geringe physische bzw. verbale Hilfe oder
Beaufsichtigung erforderlich
|
10
|
|
(einschließlich Schuhe binden, Knöpfe schließen)
|
Selbstständig, benötigt keine Hilfe
|
15
|
|
Unfähig, sich allein an- und auszuziehen
|
0
|
Mobilität
|
|
Braucht etwas Hilfe, kann aber ca. 50 % allein
durchführen
|
5
|
Immobil bzw. Strecke < 50 m
|
0
|
Selbstständig, benötigt keine Hilfe
|
10
|
Unabhängig mit Rollstuhl, incl. Ecken,
Strecke > 50 m
|
5
|
Stuhlkontrolle
|
Unterstütztes Gehen möglich, Strecke > 50 m
|
10
|
|
Inkontinent
|
0
|
Selbstständiges Gehen möglich
(Hilfsmittel erlaubt), Strecke > 50 m
|
15
|
Gelegentlich inkontinent (max. 1x pro Woche)
|
5
|
Treppensteigen
|
|
Ständig kontinent
|
10
|
Unfähig, allein Treppen zu steigen
|
0
|
Urinkontrolle
|
Benötigt Hilfe oder Überwachung beim
Treppensteigen
|
5
|
|
Inkontinent
|
0
|
Selbstständiges Treppensteigen möglich
|
10
|
Gelegentlich inkontinent (max. 1x pro Tag)
|
5
|
||
Ständig kontinent
|
10
|
Selbstpflegekompetenz von Menschen, die eine podologische Therapie erhalten
Mit der zweiten Erhebung wollten wir gezielt etwas über den Grad der Selbstständigkeit der Patienten in podologischer Behandlung erfahren. Der Fragebogen wurde 2017 versandt und wir erhielten 2235 ausgefüllte Bögen zurück. Davon lagen 907 Bögen von Frauen (mittleres Alter ± SD: 69 ± 12 Jahre) und 1328 Bögen von Männern (68 ± 14 Jahre) vor. Unsere Annahme war, dass viele Patienten, die zur podologischen Therapie kommen, in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind und deshalb ihre Füße nicht selber pflegen können. Der von uns entwickelte Fragebogen basiert auf dem sogenannten Barthel-Index (siehe Tab. 1). Dies ist ein in der Pflege etabliertes Instrument, um die Alltagskompetenz beziehungsweise die Pflegebedürftigkeit eines Menschen einzuschätzen. Er wird in vielen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen genutzt. Wir haben diesen Index gewählt, da er anerkannt ist und in der Literatur auch in anderen Studien benutzt wird. In diesen Fragen des Barthel-Indexes hatten wir fünf spezifische Fragen zur Fußpflege eingepflegt (Häufigkeit des Schneidens der Zehen, Häufigkeit des Eincremens, der Hornhautbeseitigung, wer schneidet die Nägel und eine Frage zur Erreichbarkeit des Fußes). Die Auswertung der Fragebögen zeigte, dass nur etwa die Hälfte der Menschen, die zur podologischen Behandlung kam, im Zustand der kompletten Selbstständigkeit ist und immerhin jeder 6. Betroffene mehr als nur punktuell hilfsbedürftig ist (Tab. 2).
Tabelle 2: Angegeben sind die Anzahl und der Anteil der Männer und Frauen in % und das Alter aufgeschlüsselt nach der erreichten Punktzahl im Barthel-Index.
mehr als nur punktuell hilfsbedürftig
|
punktuell
hilfsbedürftig
|
Zustand kompletter
Selbstständigkeit
|
|
---|---|---|---|
Barthel-Index
|
< 85
|
85 – 95
|
› 95
|
Frauen n (%)
|
147 (16,3%)
|
271 (30,1%)
|
483 (53,6%)
|
Alter Jahre
|
73,8 ± 10,7
|
70,2 ± 11,3
|
66,5 ± 11,7
|
Männer n (%)
|
262 (19,7%)
|
420 (31,6 %)
|
646 (48,6%)
|
Alter Jahre
|
75,0 ± 10,6
|
69,4 ± 12,4
|
63,2 ± 13,9
|
Diejenigen, die als komplett selbstständig anzusehen sind, erreichen zwar in höherem Ausmaß ihre Füße mit den eigenen Händen (84,5 % der Frauen und 88 % der Männer) als diejenigen, die punktuell (71,8 % der Frauen und 74,8 % der Männer) oder mehr als punktuell hilfsbedürftig (45,5 % der Frauen und 47,3 % der Männer) sind (Tab. 3). Betrachtet man die Antworten zum Eincremen der Füße, zum Feilen der Hornhaut und zur Nagelpflege, sind die Unterschiede zwischen den drei Gruppen nicht groß und die Häufigkeiten nehmen nicht mit ansteigender Pflegebedürftigkeit zu.
Tabelle 3: Angegeben ist der Anteil der Antworten auf die jeweiligen Fragen in % der Männer und Frauen in der jeweiligen Gruppe, aufgeschlüsselt nach der erreichten Punktzahl im Barthel-Index.
Frauen
|
Männer
|
|||||
---|---|---|---|---|---|---|
Barthel-Index
|
< 85
|
85–95
|
> 95
|
< 85
|
85–95
|
> 95
|
kommen an ihre Füße
|
45,5
|
71,8
|
84,5
|
47,3
|
74,8
|
88
|
cremt täglich
|
33,3
|
53,5
|
24,2
|
46,9
|
56,6
|
46,3
|
cremt manchmal
|
54,4
|
41,7
|
63,6
|
38,3
|
40,8
|
49,9
|
cremt nie
|
12,3
|
4,8
|
12,2
|
14,8
|
2,6
|
3,8
|
schneidet Nägel allein
|
11,2
|
27,3
|
14,3
|
11
|
21,9
|
26,5
|
jemand anderes schneidet
|
82,5
|
70,8
|
83,8
|
83
|
73,7
|
72,1
|
niemand schneidet
|
6,3
|
1,9
|
1,9
|
6
|
1,4
|
1,4
|
feilt Hornhaut
|
16,8
|
23,5
|
13,4
|
15,9
|
31,7
|
25,6
|
jemand anderes feilt
|
72,7
|
70,1
|
82
|
79,8
|
66,2
|
71,3
|
niemand feilt
|
10,5
|
6,4
|
4,6
|
3,9
|
2,1
|
3,1
|
schneidet Nägel 1 x Woche
|
10,5
|
7,9
|
4,6
|
9,6
|
6,5
|
5,5
|
schneidet Nägel 1 x Monat
|
82,5
|
91,7
|
82,7
|
91,3
|
89,1
|
92
|
schneidet Nägel alle 3 Monate
|
6,3
|
3
|
4,1
|
7,7
|
1,8
|
2,5
|
Erkrankungen und Fußveränderungen der Patienten, die zur podologischen Therapie kommen
Mit der dritten Erhebung wollten wir gezielt etwas über die Krankheiten beziehungsweise den Fußprobleme der Patienten erfahren, die sich in podologischer Behandlung befinden. Der Fragebogen wurde 2018 versandt und wir erhielten insgesamt 1851 ausgefüllte Bögen zurück, von 1025 Frauen (76 ± 15 Jahre) und 812 Männern (75 ± 15 Jahre). Unsere Annahme war, dass nicht nur Patienten mit einem Diabetischen Fußsyndrom zur Behandlung kommen, sondern auch Patienten mit anderen Erkrankungen. So belegt die Auswertung, dass nur 70 Prozent der Männer und 52 Prozent der Frauen angaben, einen Diabetes mellitus zu haben. Der Anteil der Patienten mit einer Polyneuropathie fiel geringer aus, wobei ein Teil der Patienten sicherlich auch nicht über die Diagnose aufgeklärt sein dürfte. Andere häufige Krankheitsbilder waren die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und die Herzinsuffizienz. Patienten mit rheumatischen Erkrankungen waren ebenso vertreten wie Patienten mit Parkinson-Erkrankung (Tab. 4).
Tabelle 4: Angegeben ist der Anteil der Antworten mit „Ja“ bezüglich der jeweiligen Erkrankung in % bei Männer und Frauen beziehungsweise Patienten im Alter < 60 und über 75 Jahren.
Erkrankung
|
Geschlecht (%)
|
Alter (%)
|
|||
---|---|---|---|---|---|
m
|
w
|
< 60
|
> 75
|
||
1
|
Diabetes mellitus
|
70
|
52
|
41,5
|
68
|
2
|
Polyneuropathie
|
56
|
43
|
29,3
|
58
|
3
|
PAVK
|
35
|
26
|
14,2
|
40
|
4
|
Herzinsuffizienz
|
32
|
28
|
12
|
44
|
5
|
Lymphödem
|
19
|
24
|
16,7
|
26
|
6
|
Allergien
|
16
|
25
|
27,3
|
16
|
7
|
Gicht
|
12
|
10
|
7,4
|
14
|
8
|
Apoplexia cerebri
|
9,6
|
7,6
|
4,1
|
11
|
9
|
Rheumatische Erkrankung
|
8
|
17
|
7,9
|
17
|
10
|
Parkinson Erkrankung
|
2,5
|
1,7
|
0,5
|
3,1
|
11
|
Fibromyalgie
|
2,3
|
4,6
|
3,4
|
2,6
|
12
|
Multiple Sklerose
|
0,6
|
1,6
|
2
|
1
|
Tabelle 5: Angegeben ist der Anteil der Antworten mit „Ja“ bezüglich der jeweiligen Fußerkrankung in % bei Männern und Frauen, beziehungsweise Patienten im Alter < 60 und über 75 Jahren.
Fußerkrankung
|
Geschlecht (%)
|
Alter (%)
|
|||
---|---|---|---|---|---|
m
|
w
|
< 60
|
> 75
|
||
1
|
Pes transverplanus
|
59,3
|
62,6
|
60,5
|
60,8
|
2
|
Pes planus
|
42,7
|
41
|
37,5
|
43,4
|
3
|
Digitus flexus
|
31,8
|
39,7
|
25,3
|
43,6
|
4
|
Hallux valgus
|
28
|
45,5
|
25,5
|
46,8
|
5
|
Digitus malleus
|
22,9
|
25,1
|
14,9
|
29,9
|
6
|
Pes valgus
|
11,9
|
17,2
|
16
|
15,4
|
7
|
Pes excavatus
|
9
|
10,2
|
7,4
|
9,3
|
8
|
Digitus subductu
|
8,3
|
11,2
|
6,8
|
13,5
|
9
|
Digitus superductu
|
6,9
|
11,5
|
6,8
|
14
|
10
|
Charcot-Fuss
|
3,4
|
3
|
4,7
|
2,6
|
11
|
Syndaktylie
|
2,8
|
2,3
|
3,8
|
1,5
|
12
|
Pes calcaneus
|
2,4
|
2,6
|
1,8
|
2,6
|
Diskussion
Die durchgeführten Erhebungen erlauben uns einen wichtigen Einblick in die Versorgungsleistungen in der podologischen Praxis. Auf der einen Seite zeigen sie das breite Spektrum der Fußerkrankungen mit dem die Patienten sich vorstellen. Auf der anderen Seite beschreiben sie die Vielschichtigkeit der Patienten, die zur Behandlung kommen. Dies reicht von Patienten mit Diabetes mellitus und Polyneuropathie über adipöse Patienten, die ihre Füße nicht erreichen, bis hin zu pflegebedürftigen Menschen mit punktueller oder mehr als punktueller Hilfsbedürftigkeit. Darüber hinaus zeigt die hohe Rücklaufrate der Fragebögen, dass die Mitglieder von podo deutschland gemeinsam die gestellten Fragen zur Versorgung der Deutschen Bevölkerung mit podologischen Therapien beantworten können. Die erhobenen Daten haben allerdings keinen Anspruch auf Repräsentativität und Vollständigkeit, da sie auf einer freiwilligen Teilnahme der Befragten basieren und wir nicht wissen, welche Patienten letztlich eingeschlossen wurden und welche nicht. Ein prospektiv aufgestelltes Register von Patienten, die in podologischen Praxen behandelt werden, könnte in Zukunft helfen, die bestehenden offenen Fragen zu adressieren. Der Mehrwert der Podologie für den Patienten und das Gesundheitssystem wird so beleuchtet werden und als Datengrundlage für Gespräche mit den Krankenkassen genutzt werden können.
ANNETT BIEDERMANN | BEATE EICKMANN | MONIKA EIRICH | GABRIELA SCHWAB | PETER R. MERTENS | KNUT KRÖGER