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21. Januar 2020
Redaktion

Lächeln, sprechen, Arme hoch

Die Aufklärung der Bevölkerung ist Schlüsselelement beim Kampf gegen den Schlaganfall. Anlässlich des Weltschlaganfalltags am 29. Oktober erinnerte die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) daran, dass es meist medizinische Laien sind, die Zeugen eines Schlaganfalls werden.
Grafik: i-picture/AdobeStock

Wie diese rasch den Ernst der Lage erkennen können und welche Symptome dabei den Weg weisen, war ein Thema auf der Pressekonferenz der DSG zum Weltschlaganfalltag in Berlin.

Schlaganfälle sind die zweithäufigs­te Todesursache weltweit und eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen im Erwachsenenalter. Aufgrund der immer besseren Versorgung sinkt die Sterblichkeit von Schlaganfallpatienten in Deutschland zwar, und auch das Pro-Kopf-Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, nimmt ab. Dennoch rechnen Experten angesichts der immer älter werdenden Bevölkerung mit steigenden absoluten Erkrankungszahlen.

Blockade im Gehirn

Meist ist ein Blutgerinnsel schuld: Bei 85 Prozent der Schlaganfälle wird eine Gehirnarterie durch einen Blutpfropf blockiert, dahinterliegende Gehirnbereiche werden von der Durchblutung abgeschnitten und so geschädigt. Deutlich seltener geht der Insult, wie er medizinisch genannt wird, auf das Reißen eines Blutgefäßes im Gehirn zurück. „Was auch immer die Ursache ist – ein Schlaganfall ist immer ein medizinischer Notfall“, sagt Prof. Dr. med. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der DSG und Chefarzt an der Klinik für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus Bielefeld-Bethel. Denn mit jeder Minute, die bis zum Einsetzen der Therapie vergeht, steigt das Risiko für bleibende Schäden. Noch immer tragen bis zu 40 Prozent der überlebenden Schlaganfallpatienten dauerhafte Einschränkungen davon.

Jede Minute zählt

Das Bewusstsein für „Time is Brain“ ist in der Bevölkerung mittlerweile weit verbreitet. Dennoch sind viele Menschen unsicher, wie sie einen Schlaganfall erkennen können. „Als schnelle und laientaugliche Entscheidungshilfe hat sich der sogenannte FAST-Test bewährt, der die häufigsten Schlaganfallsymptome abfragt“, sagt Schäbitz. FAST steht dabei für Face, Arm, Speech und Time: Zunächst wird der Betroffene um ein Lächeln gebeten (Face). Verzieht sich dabei das Gesicht einseitig, deutet das auf eine Gesichtslähmung hin. Im zweiten Schritt soll die Person die Arme nach vorne strecken und dabei die Handflächen nach oben drehen. Bei einer – meist einseitigen – Lähmung kann ein Arm die Hebung und/oder Drehung nicht mitvollziehen. Schließlich wird der Betroffene noch gebeten, einen einfachen Satz nachzusprechen (Speech). Gelingt dies nicht oder nur sehr undeutlich, ist das ebenfalls als Warnsignal zu werten. „Ist einer der drei Tests auffällig, muss sofort die 112 gewählt werden“, sagt Schäbitz – das vierte Stichwort „Time“ soll daran erinnern, dass dann jede Minute zählt. Schlaganfall-ähnliche neurologische Symptome wie Bewusstseinsstörungen, Lähmungen und starke Kopfschmerzen können auch bei Patienten mit schwerer Migräne oder Epilepsie auftreten. „In diesen Fällen spricht man von Schlaganfall-Mimics“, erläutert Schäbitz. Auch hier müsse in jedem Fall schnell reagiert und sofort das Rettungssystem aktiviert werden – denn ob es sich nicht doch um einen Schlaganfall handelt, wird am bes-ten in der nächsten Stroke-Unit geklärt. Diese auf die Diagnose und Akuttherapie des Schlaganfalls spezialisierten Stationen zu etablieren, ist seit Gründung der DSG vor 18 Jahren ein Hauptziel der Gesellschaft. Heute gibt es sie in Deutschland fast flächendeckend. „Wir haben die Abläufe in der Klinik vom Eintreffen bis zum Therapiebeginn weitgehend optimiert“, sagt Schäbitz. Auch die Zeit bis zum Eintreffen in der Stroke-Unit, die sogenannte präklinische Prozesskette, gelte es, noch weiter zu verbessern und immer wieder aktiv daran zu arbeiten „Hier liegt tatsächlich der größte Spielraum für die erfolgreiche Behandlung. Und bei diesem sind wir auch auf die Mithilfe und die Aufmerksamkeit jedes Einzelnen angewiesen.“ Die Bemühungen zur Aufklärung der Bevölkerung dürften daher auf keinen Fall nachlassen.

„Time is Brain“ gilt auch für Kinder

Ein Schlaganfall kann aber nicht nur Erwachsene treffen – jährlich kommt es auch bei zwei bis acht von 100000 Kindern pro Jahr zum plötzlichen und hochgefährlichen Verschluss einer Gehirnarterie. Gerade in dieser sensiblen Altersgruppe vergeht jedoch oft wertvolle Zeit, bis ein Schlaganfall richtig diagnostiziert und behandelt wird. „Während die Behandlung erwachsener Schlaganfallpatienten in Deutschland einem ausgefeilten Protokoll folgt und auf eine schnellstmögliche Versorgung ausgerichtet ist, dauert es bei Kindern noch immer durchschnittlich 23 Stunden, bis überhaupt die Diagnose gestellt wird“, sagt Dr. med. Lucia Gerstl, Leiterin des Deutschen Netzwerks Pediatric Stroke und Sprecherin der Initiative Pediatric Stroke – ipeds am Klinikum der LMU München, die das Thema auf der Pressekonferenz vorstellte. Dabei gelte die Devise „Time is Brain“ bei Kindern genauso wie beim Erwachsenen – je schneller die Behandlung einsetze, desto geringer ist das Ausmaß der bleibenden Schäden. Bei Erwachsenen wird eine Wiedereröffnung des blockierten Gefäßes binnen 90 Minuten angestrebt. Die Folgen der schleppenden Behandlung bei Kindern können gravierend sein. „Nur rund jedes dritte Kind erholt sich nach einem Schlaganfall vollständig, bei einem Großteil kommt es zu langfristigen neurologischen Beeinträchtigungen wie einer Halbseitenlähmung oder einer Epilepsie“, erklärte Gerstl. „Oft wird allein aufgrund des jugendlichen Alters nicht sofort an einen Schlaganfall gedacht“, ergänzt Prof. Armin Grau, Direktor der Neurologischen Klinik am Klinikum der Stadt Ludwigshafen und 1. Vorsitzender der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG). Zudem gebe es bei Kindern mehr mögliche andere Ursachen für die beobachteten Symptome. In einer Studie, für die Lucia Gerstl gemeinsam mit Kollegen kindliche und jugendliche Schlaganfallpatienten untersuchte, zeigte sich, dass die überwiegende Mehrzahl (91 Prozent) der Kinder als erste Anzeichen fokale Ausfallerscheinungen wie eine Halbseitenlähmung, Gesichtslähmungen oder plötzlich auftretende Sprachstörungen entwickelten. Lucia Gerstl und ihr Team haben daraus die griffige „beFAST“-Pocketcard für jede Kitteltasche gemacht. „FAST-Symptome sollten daher auch bei Kindern immer an einen Schlaganfall denken lassen und Anlass für eine sofortige bildgebende Untersuchung sein“, betont Gerstl – auch dann, wenn gleichzeitig eher unspezifische Beschwerden wie Übelkeit oder Kopfschmerzen oder aber auch Krampfanfälle auftreten. Zudem traten bei einem Teil der Kinder die Symptome nicht schlagartig auf, sondern zeigten einen „stotternden“ oder progredienten Verlauf. Auch das dürfe keinesfalls dazu verleiten, die Diagnose Schlaganfall auszu­schließen, mahnt Gerstl.

Leitlinie soll kommen

Um die Versorgung zu verbessern, wird derzeit unter Federführung von Lucia Gerstl (München) und Maja Steinlin (Bern, CH) zusammen mit Mitgliedern des Deutschen Netzwerks Pediatric Stroke und weiteren Experten aus Neurologie und Bildgebung eine S3-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie des kindlichen Schlaganfalls erarbeitet sowie ein bundesweites Kinderschlaganfall-Re­gister aufgebaut. Das Netzwerk setzt sich außerdem dafür ein, die Kinderneurologie als Notfalldisziplin zu etablieren sowie interdisziplinäre Strukturen zur Akut- und Langzeitversorgung zu schaffen, auch unter Einsatz von Telemedizin. „Das oberste Ziel muss es sein, die Zeit bis zu Diagnose und Therapiebeginn zu verringern, damit auch der Einsatz von Lysetherapie und mechanischer Thrombektomie grundsätzlich möglich ist. In der Postakutphase ist die Verringerung der hohen Rezidivrate von im Mittel rund 30 Prozent bei Kindern eine unserer Prioritäten“, sagt Gerstl. Eine zentrale Rolle spielt hierbei auch die Ursachenforschung: In ihrer Studie wiesen 40 Prozent der betroffenen Kinder mindestens zwei der bekannten Risikofaktoren für einen Schlaganfall im Kindesalter auf. Dazu zählen etwa Blutgerinnungsstörungen, Herzerkrankungen, Veränderungen der Hirngefäße, schwere Infektionen, Stoffwechselstörungen oder genetische Ursachen. Diesen Risikofaktoren mehr Beachtung zu schenken, könnte den Weg zu einer schnelleren Diagnose, in manchen Fällen auch zu präventiven Maßnahmen und zur Vermeidung weiterer Schlaganfälle ebnen.

Foto: Eakrin/Adobe Stock
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