Leben mit Multiple Sklerose


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Je nach Schweregrad kann Multiple Sklerose zu unkontrollierten Muskelbewegungen und Durchblutungsstörungen an den Füßen führen. Wie sehen Krankheitsbild und Therapie der MS aus? Welche Aufgabe übernimmt die Podologie? Ulrike Kossessa informiert.

Treppensteigen, dem Bus nachlaufen oder eine volle Kaffeetasse heben – was für gesunde Menschen zum Alltag gehört, kann für Menschen mit Multipler Sklerose (MS) zu einem kräftezehrenden oder gar unüberwindbaren Hindernis werden. Multiple Sklerose ist die häufigste Autoimmunerkrankung des Zentralen Nervensystems. Das körpereigene Immunsystem zerstört Gewebe in Gehirn und Rückenmark. Schätzungen zufolge leben weltweit 2,5 Millionen Menschen mit MS. In Deutschland geht man nach Berechnungen des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung (Zi) von rund 240000 Menschen aus.

Auffallend sind die unterschiedlichen regionalen Verteilungen: Während im Osten (Berlin ausgenommen) statistisch betrachtet lediglich 15 von 100000 gesetzlich Versicherten jährlich neu an MS erkranken, sind es in Westdeutschland durchschnittlich 19 Patienten, somit zirka 25 Prozent mehr. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt und sollen laut Zi-Versorgungsatlas in weiteren Studien untersucht werden. MS verläuft meist schubförmig und trifft Frauen doppelt so häufig wie Männer. Die Erkrankung wird in der Regel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt – mit geringerer Häufigkeit tritt sie aber auch schon im Kindes- und Jugendalter auf.

Myelin schützt die empfindlichen Nervenfasern
 

Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind selten. Solange die Krankheit nicht heilbar ist, gilt als wichtigstes Therapieziel die Freiheit von Krankheitsaktivität, gemessen an den Parametern Schubfreiheit und Freiheit von Behinderungsprogression. Weil sich die MS bei jedem Patienten ganz individuell äußert und entsprechend spezifisch behandelt wird, trägt sie den Beinamen „die Krankheit der 1000 Gesichter“.

Was ist Multiple Sklerose?

Wesentlich: MS ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. Auch die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind so nicht richtig. Multiple Sklerose wird von Ärzten auch Enzephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Das ist die lateinische Bezeichnung für in Gehirn und Rückenmark verstreut auftretende Entzündungen. Das Gehirn ist eine Art Schaltzentrale, in der Signale über das Rückenmark zum Körper gesendet oder von dort empfangen werden; diese werden von verschiedenen Nervenfasern geleitet, die ähnlich wie elektrische Kabel von einer Schutz-, beziehungsweise Isolierschicht umgeben sind. Diese Schutzschicht besteht aus einem Stoff, der Myelin genannt wird.

Das rasche Auftreten von einem oder mehreren (= multiplen) Entzündungsherden mit entsprechenden körperlichen Störungen und Ausfällen nennt man Schub. Ein Schub hat nichts mit einem plötzlichen Anfall zu tun – meist entwickelt er sich innerhalb von Stunden oder Tagen und klingt nach einiger Zeit wieder ab. Allerdings muss nicht jedes Symptom, jede Beschwerde einen Schub darstellen. Nach dem Schub kann eine Rückkehr zur normalen Funktion eintreten oder das entzündete Nervengewebe vernarbt (sklerosiert). Da die Entzündungen überall im zentralen Nervensystem auftreten können, sind die Symptome vielfältig (s.u.).

Unterschiedliche Verlaufsformen

  • Bei der schubförmig remittierenden MS (relapsing remitting MS, RRMS) lassen sich einzelne Phasen abgrenzen, die durch Entzündungsgeschehen gekennzeichnet sind. Nach einem Schub können sich die Symptome teilweise oder vollständig zurückbilden.
  • Bei der schubförmigen MS (relapsing MS, RMS) treten sowohl Symptome wie bei der RRMS auf, bei der sich einzelne Phasen abgrenzen lassen, als auch wie bei der sekundär progredienten MS (secondary progressive MS, SPMS) mit aufgesetzten Schüben.
  • Bei der sekundär progredienten MS (SPMS) ist die Schubfrequenz erniedrigt, es können noch einzelne Schübe auftreten, die Behinderungsprogression der Patienten schreitet aber mit oder ohne aufgesetzten Schüben kontinuierlich fort.
  • Bei der primär progredienten MS (primary progressive MS, PPMS) verschlechtert sich der Zustand der Patienten fortlaufend, es kommt nicht zu Schüben und auch nicht zu nennenswerten Remissionen der Symptome.

Bleibt die Krankheit unbehandelt, schreitet bei rund 50 Prozent der MS-Erkrankten innerhalb von zwei bis drei Jahren eine relevante Behinderung fort. Zu Beginn der MS-Erkrankung treten häufig motorische Störungen auf, wie Lähmungen und Sehstörungen. Hinzu kommen Gefühlsstörungen der Haut („Sensibilitäts-Störungen“), meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl. Daneben können unterschiedlichste Beschwerden wie Blasenstörungen (bis zur Inkontinenz), Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen und „verwaschenes“ Sprechen vorkommen. Mögliche spastische Lähmungserscheinungen im weiteren Verlauf betreffen vor allem Beine und Füße. Schwerwiegend sind auch Beschwerden, die oft nicht gut fassbar und sichtbar sind. Dazu gehören eine abnorme, vorzeitige Erschöpfbarkeit (die sogenannte Fatigue), kognitive Störungen und Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit, depressive Verstimmungen, Schwindel sowie sexuelle Funktionsstörungen.

Wie wird MS diagnostiziert?

Da die meisten Anfangsbeschwerden auch denen anderer Krankheiten entsprechen, ist eine gesicherte Diagnose nur auf Basis einer umfassenden Anamnese, das heißt einer möglichst detaillierten Erfassung der bisherigen Krankheitsgeschichte und einer Reihe weiterer Untersuchungen möglich. Dazu ge­hö­ren Nervenleitfähigkeit- und Geschwindigkeit genauso wie die Lumbalpunktion (Nervenwassergewinnung) und die Magnetresonanztomographie (MRT). Anhand anerkannter Diagnosekriterien (die MCDonald-Kriterien) formt sich ein Gesamtbild. Bisweilen dauert es Wochen, Monate, zuweilen sogar Jahre, bis der Betroffene eine klinisch eindeutige Diagnose hat. Das ist nicht nur psychisch schwer zu verkraften, es ist auch ganz wichtig, möglichst frühzeitig mit der individuellen Behandlung zu beginnen (s. Therapie).

MS muss nicht zwangsläufig schwer verlaufen. Im Gegenteil, gerade zu Beginn der Erkrankung kann es zu einer weitgehenden Abheilung der entzünd-lichen Herde und damit zur Rückbildung der auftretenden Krankheitszeichen kommen. Nur in wenigen Fällen (unter 5 %) führt die Krankheit innerhalb weniger Jahre zu schwerer Behinderung. Aus Verlaufsbeobachtungen kann abgeleitet werden, dass die Wahrscheinlichkeit, auch weiterhin einen relativ gutartigen Verlauf zu haben, höher ist, wenn nach fünf oder zehn Jahren das Krankheitsbild stabil ist. Allerdings ist dies aufgrund der Unberechenbarkeit des Krankheitsverlaufs keine sichere „Faustregel“ und spricht auch zum Beispiel nicht gegen eine Therapie nach längerem Verlauf.

 Welche Symptome kЪnnen bei der MS auftreten? (Grafik: msfp, Quelle: DMSG-Bundesverband)
 

Zu Krankheitsbeginn überwiegt der schubförmige Verlaufstyp mit einer Häufigkeit von bis zu 90 Prozent; bei anfänglich schubförmigem Verlauf gehen nach 10 bis 15 Jahren etwa 30 bis 40 Prozent in einen sekundär chronisch progredienten Verlauf über; nach mehr als 20 Jahren beträgt die Häufigkeit dieser Verlaufsform sogar bis zu 90 Prozent (siehe Schmidt/Hoffmann: Multiple Sklerose, 2011, Quelle: dmsg). Nur zirka 10 Prozent  der Patienten haben von Beginn an einen primär-chronisch progredienten Verlauf, das heißt von Beginn an eine langsame Verschlechterung ohne klare Schübe.

Mit Orthosen lassen sich Druckstellen an der Zehen-spitze – Clavus dures – verhindern. (Foto: Iris Kreuzheck-Koch)
 

Ursachenforschung

Während einzelne Faktoren alleine vermutlich nicht die Erkrankung auslösen, scheinen mehrere Bedingungen zusammentreffen zu müssen, um die MS zu verursachen (multifaktorielle Entstehung). Das genaue Zusammenspiel dieser Faktoren ist bislang nicht hinreichend bekannt. Auf jeden Fall spielt das Immunsystem des Körpers eine zentrale Rolle. Hier scheint ein Teilbereich dieses Abwehrmechanismus falsch programmiert zu sein, das heißt, er richtet sich gegen den eigenen gesunden Körper. So kommt es unter anderem zur Bildung von Abwehrelementen (Zellen und Eiweißstoffe/Antikörper, Entzündungsstoffe), die am Myelin, den Nervenzellen und ihren Nervenfasern Schädigungen und Störungen verursachen können.

Auch eine Beteiligung genetischer Faktoren ist nicht ausgeschlossen und wird intensiv erforscht. Vererbt wird eine „Neigung“, die Erkrankung möglicherweise zu bekommen, eine sogenannte Prädisposition. Umweltfaktoren wie Infektionen im Kindesalter, aber auch andere Aspekte, wie Vitamin D und die Ernährung spielen eine Rolle. Zahlreiche Forscher beschäftigen sich weltweit damit, mögliche und weitere Therapieansätze aufzudecken. Die internationalen MS-Gesellschaften, wie der DMSG-Bundesverband haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Forschung zu unterstützen, Betroffene und die Öffentlichkeit zu informieren.

Therapie

MS ist bis heute nicht heilbar. So konzentrieren sich die Behandlungsmöglichkeiten auf folgende Ziele:

  • die akute Entzündungsreaktion eines Schubes zu hemmen (Schubtherapie);
  • das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten;
  • die beschwerdefreie/-arme Zeit zu verlängern (verlaufsmodifizierende Therapie);

die MS-Symptome zu lindern und möglichen Komplikationen vorzubeugen (Symptomatische Therapie).
Im Bereich der Symptombehandlung stehen neben medikamentösen auch viele nicht-medikamentöse Therapien zur Verfügung: Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie, neuropsychologische Therapie. Als Folge intensiver Forschung und Entwicklung haben sich für Patienten mit MS die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten stark verbessert. Mit über 30 Jahren Erfahrung in der klinischen Forschung zu MS ist die Firma Biogen nach eigenen Angaben führend auf diesem Gebiet und trägt mit zu einem umfangreichen Portfolio an Service-Leistungen und Medikamenten bei. Prof. Dr. Andreas Schmitt, medizinischer Direktor bei Biogen: „Wir haben heute eine geradezu erdrückende Beweislast dafür, dass ein möglichst früher Therapiebeginn die Prognose der Patienten deutlich verbessern kann“, so der Neurologe.

„Es ist stets eine Herausforderung,
Patienten mit Multipler Sklerose zu behandeln. Einige haben Gefühlsbeeinträchtigungen: von Überempfindlichkeit bis hin zur Taubheit. Aber die Taubheit steht bei dieser Patientengruppe nicht im Vordergrund, sondern die Folgen der Autoimmunerkrankung und die daraus resultierenden Muskelbewegungen (bedingt durch den teilweisen Verlust der Myelinscheiden um den Nerv herum, gleichzusetzen mit kleinsten Kurzschlüssen). Diese sind bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Ist die Krankheit fortgeschritten, kommt es partiell zu Ausfällen. Somit liegt bei MS das unkontrollierte Zucken, Bewegen im Fokus der Problematik. Zudem können durch die Parese im Bein Druckstellen an den Akren entstehen. Der Fuß wird nachgeschleppt oder hängt beim Laufen etwas tiefer. Diese Stellen müssen dann fachmännisch, teils mit angefertigten Orthesen beziehungsweise Druckentlastungen, nach Abheilung der Läsionen geschützt werden.

Bei der Behandlung selbst ist äußerste Vorsicht geboten! Die teils unkontrollierten Bewegungen sind beim Nagelschnitt wie auch bei der Bearbeitung der Hornhaut mit Schleifern oder Skalpell einzukalkulieren. Hier ist höchste Konzentration erforderlich. Viele Patienten sind im Verlauf der Krankheit nicht mehr in der Lage, die Nägel selbst zu schneiden. Versuchen sie es doch und kommt es zu einer Verletzung, wird diese oft nicht mehr gespürt und es können (evtl. sogar unbemerkt) Entzündungen folgen. Gleiches gilt für die Behandlung der Hornhaut.

Was können wir und der Patient selber tun? Auf Basis der Beschwerdesymptomatik wird der Betroffene unsererseits eingehend beraten und entsprechend behandelt. Zur Vorsorge gehört eine tägliche Kontrolle der Füße, gegebenenfalls unter Hinzunahme eines Spiegels. Dieser sollte bei Immobilität eine Vergrößerungsseite und Beleuchtung haben. Falls Blessuren sichtbar sind, ist es erforderlich, dass der Betroffene – je nach Schweregrad – direkt zum Arzt oder zum Podologen zur Begutachtung und Behandlung geht.

Die Füße sollten täglich gereinigt werden. Nach dem Reinigen bitte die Zehenzwischenräume gut abtrocknen, eventuell mit Papier. Dieses saugt besser als ein Handtuch und trägt nicht so sehr auf (die Zehenzwischenräume sind teils sehr eng und die Zehen lassen sich nicht mehr so richtig bewegen). Nach dem Frisch­machen sollten die Füße mit einer harnstoffhaltigen Creme oder Schaum gepflegt werden. Podologen leisten wertvolle Dienste für die Gesunderhaltung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat sich bislang noch nicht zur Kostenübernahme für eine notwendige podologische Behandlung bei Multiple-Sklerose-Erkrankten ausgesprochen. Das ändert sich hoffentlich bald.“

Iris Kreuzheck-Koch, Podologin DDG / Diabetesfachkraft Wundmanagement / Wundexpertin ICW, Podologische Praxis im MedicalCenter am Clemenshospital in Münster.

 

Das dürfte auch aus gesamtgesellschaftlichen Erwägungen heraus ein wichtiges Therapieziel sein. Denn mit dem Schweregrad der Behinderung steigen nicht nur das persönliche Leid, sondern auch die ­Kosten für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft stark an. Das ist das Ergebnis einer aktuellen großen europaweit durchgeführten Studie (s. Quellen), die neben den krankheitsrelevanten Gesundheitsausgaben und den indirekten Kosten (z. B. Arbeitsausfall, Frühver­rentung) auch die Lebensqualität der Menschen mit MS untersucht hat. Danach berichten 71 Prozent der Patienten über Schmerzen/körperliche Beschwerden, 65 Prozent über Einschränkungen bei alltäglichen Tätigkeiten, 59 Prozent über Probleme bei der Beweglichkeit/Mobilität, 53 Prozent über Angst/Niedergeschlagenheit und bei 25 Prozent ist die Fähigkeit für sich selbst zu sorgen, eingeschränkt. Der Anteil der Patienten im erwerbsfähigen Alter, die beschäftigt oder selbstständig sind, fällt von 72 Prozent bei einer milden MS auf nur noch 16 Prozent bei einer schweren Erkrankung.

In den neurologischen Pipelines großer Biotechnologie-Unternehmen wie Biogen befinden sich laut des US-amerikanischen Pharmaverbandes zurzeit 27 neue Wirkstoffkandidaten gegen die MS (Quelle: www.biogen.de). Prof. Schmitt: „Zurzeit forscht Biogen an einem Antikörper, dem das Potenzial zugeschrieben wird, den durch die MS ausgelösten Abbau der Myelinscheide zu blockieren beziehungsweise diese sogar wieder aufzubauen (Remyelinisierung).“ «

Quellen

  • www.dmsg.de
  • www.biogen.de
  • Jakob Holstiege et al.: Epidemiologie der Multiplen Sklerose – eine populationsbasierte deutschlandweite Studie. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Versorgungsatlas), Bericht 17/09 vom 07.12.2017
  • www.zi.de

 

 

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