Folgen Sie uns
13. Oktober 2016
Dr. med. Renate Wolansky
Blue-toe-Phänomen

Das Rätsel blauer Zehen

Bei oft schmerzhaften blauen Zehen kann es sich um ein Blue-toe-Phänomen handeln. Orthopädin Dr. Renate Wolansky stellte diese Durchblutungsstörung bei verschiedenen Grundkrankheiten vor.
Blue-toe-Phänomen
Foto: Renate Wolansky

Am Anfang soll eine kurze Beschreibung der anatomischen Begebenheiten stehen. Zahlreiche Anastomosen verbinden die Arteria dorsalis pedis (Fußrückenarterie, Fortsetzung der Arteria tibialis anterior [vordere Schienbeinarterie]) mit der Arteria plantaris medialis und lateralis (innere und äußere Sohlenarterie (Äste der Arteria pos-terior [hintere Schienbeinarterie]). Die Mittelfußregion wird von Arteriae metatarsae dorsales und plantares versorgt, die durch eine Vielzahl von Anas­tomosen (Verbindung zwischen zwei Blutgefäßen) als Aa. perforantes proximales, distales und interdigitales miteinander verbunden sind. Tritt eine Schädigung der Aa. metatarsae dorsales und/ oder planteres auf, erfolgt die Blutversorgung des Mittelfußes über die Aa. perforantes. Im Zehenbereich sind die dorsalen und plantaren Digitalarterien (Zehenarterien) durch sogenannte „Rundanastomosen“ verbunden. An Zehenmittel- und -endgliedern erfolgt die Durchblutung durch distale Anastomosen der lateralen und medialen Digitalarterie jeweils eines Zehs.

Blue-toe-Phänomene und ihre Ursachen

Blue-toe-Phänomene können verschiedene Ursachen haben. Ein plötzliches Auftreten blauer Zehen deutet auf einen Verschluss der Digitalarterien hin – sowohl in den betroffenen plantaren als auch dorsalen oder beider Digitalarterien. Dabei ist eine Kompensation durch die oben genannten Anastomosen nicht mehr möglich. Der Verschluss nur einer Zehenarterie, entweder der plantaren oder der dorsalen Zehenarterie, bleibt meistens folgenlos.

Auslöser eines akuten Verschlusses von Zehenarterien sind vor allem Mikroembolien. Es handelt sich dabei um proximal gelegene Gefäßplaques (Platten), die sich spontan von der Gefäßwand lösen oder iatrogen (durch diagnostische oder therapeutische Einwirkungen) – zum Beispiel durch Katheter – abgelöst werden. Ebenso kommen Thromben oder Cholesterinkristalle ursächlich infrage. Des Weiteren können pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit), hier besonders bei Diabetes mellitus (Abb. 1), Paraneoplasmen (Erkrankungen im Zusammenhang mit Neo­plasmen [autonome Neubildung von Gewebe]) oder unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) zum Beispiel durch Ciclosporin (zur Immunsuppression bei Zustand nach Organtransplantation oder Autoimmunkrankheiten) Auslöser sein.

Klinische Symptomatik

Häufig tritt eine schmerzhafte Blauverfärbung eines oder mehrerer Zehen auf, ohne vorausgehende Symptome. Aufgrund des Kollateralkreislaufs (Umgehungskreislauf) zeigt die bläuliche Verfärbung gelegentlich eine rückläufige Tendenz. Lästige begleitende Symptome bei dem Prozess sind starkes Kältegefühl und/oder Parästhesien (Missempfindungen) wie taubes, pelziges, brennendes, stechendes oder kribbelndes Gefühl, die den nächtlichen Schlaf erheblich stören können. Bei einer höher liegenden Arterienstenose erscheinen die peripheren Pulse meistens abgeschwächt.
Schwere Folgen betreffen eine sich entwickelnde Zehenkuppennekrose (sogenannter Zelltod).

Diagnostik

Pathologische serologische Werte liegen bei Blue-toe-Syndromen meistens nicht vor. Im Oszillogramm sind bei Verschluss beider Arterien eines Zehs mit einhergehenden Schmerzen Veränderungen im Sinne einer peripheren Durchblutungsstörung sichtbar. Bei Verschluss nur einer Digitalarterie – ohne Beschwerden im Zeh – zeigt die Kurve im Oszillogramm einen normalen Verlauf. Ferner gibt die Druckmessung der Digitalarterien Auskunft über eine lokal bestehende Minderdurchblutung. Des Weiteren dient die Kapillarmikroskopie zur Diagnostik von Mikrozirkulationsstörungen oberflächlicher Kapillaren. Der Kapillarpuls unter den Nägeln wird sichtbar beim Aufpressen eines Objektträgers auf den Nagel – sogenannter ­Nagelpuls. Mithilfe einer Angiografie (röntgenologische Darstellung der Blutgefäße nach Kontrastmittelgabe) der Arteria femoralis (Schenkelarterie) kann ein arterieller Verschluss der Digitalarterien beim Blue-toe-Phänomen abgeklärt werden. Häufig sind hier – oder in der Arteria iliaca externa (äußere Hüftschlagader) – Plaques (plattenartige Ablagerungen) zu finden. Der Ausschluss eines proximal gelegenen Aneurysmas (Gefäßwandaussackung) kann sonografisch erfolgen. Die Duplexsonografie kommt zur Diagnostik vor allem bei arteriellen Stenosen (Verengungen) höher gelegener Arterien infrage. Begleitsymptome sind dabei abgeschwächte periphere Pulse. Ebenso ist auf einen pa­thologischen Auskultationsbefund zu achten. Ferner dienen duplexsonografische und angiografische Untersuchungen zum Nachweis einer traumatischen arteriellen Gefäßläsion in der Region der Arteria femoralis (Oberschenkelarterie) und Arteria poplitea (Kniegkehlenarterie).

Grundkrankheiten mit möglichem Blue-toe-Phänomen

Differenzialdiagnostisch kommt beim Blue-toe-Phänomen eine Vielzahl von Krankheitsbildern in Betracht.

Raynaud-Syndrom

Bei dem Krankheitsbild kommt es aufgrund arterieller Vasokonstriktion (arterieller Gefäßkrampf) zur anfallsartigen Ischämie, besonders am 2. – 5. Finger, gelegentlich auch Zehen. Exogener Auslöser beim primären Raynaud-Syndrom sind Kälteeinfluss und endogen Stress (Abb. 2). Das sekundäre Raynaud-Syndrom kann bei verschiedenen Grundkrankheiten auftreten wie zum Beispiel bei Arteriosklerose, Sklerodermie (entzündliche Erkrankung des Bindegewebes mit zunehmender Verhärtung der Haut und gegebenenfalls der Organe), Verletzungen (besonders Vibrationstraumen), Thrombangitis obliterans oder Intoxikationen durch Schwermetalle. Zunächst erscheinen Finger und/oder Zehen blass infolge ­einer Ischämie. Im weiteren Verlauf kommt es zur Zyanose (Blauverfärbung) mit Schmerzen. Letztlich können sich eine Nekrose (sogenannter Zelltod) und später eine Gangrän (sogenannter Brand) entwickeln.

Therapeutisch kommen vasodilatierende Medikamente (gefäßerweiternde Mittel) wie zum Beispiel Nifedipin in Betracht. Kälteeinwirkung und Nikotinverbrauch sollten unbedingt vermieden werden.

64-jährige
Foto: Renate Wolansky
2 64-jährige Frau mit primärem Morbus Raynaud. In der linken Hand sind 3. und 4. Finger weißlich verfärbt, temporär wird anamnestisch ein Blue-toe-Phänomen angegeben.

Thrombose und Embolie

Weiterhin kann eine akrale Durchblutungsstörung mit Blauverfärbung eines oder mehrerer Zehen bei Thrombose oder Embolie auftreten. Bei einer Thrombose liegt ein Thrombus (Blutgerinnsel) entweder in einer Vene – venöse Thrombose – (sogenannte Thrombophlebitis in den oberflächlichen und die sogenannte Phlebothrombose in den tiefen Venen) oder in einer Arterie (arterielle Thrombose) vor. Am Entstehungsort des Blutgerinnsels kann es zum Verschluss des betroffenen Gefäßes kommen. Löst sich der Thrombus mit Verschleppung in entfernte Gefäße, handelt es sich um eine Embolie. Eine venöse Thrombose oder Embolie tritt vor allem in den tiefen Bein- oder Beckenvenen auf, die zur gefährlichen Lungenembolie mit Exitus führen kann. Eine arterielle Thrombose oder Embolie entsteht meistens aufgrund einer geschädigten Innenwand der Arterien wie zum Beispiel bei Arteriosklerose (Gefäßwandverkalkung) mit Verhärtung, Verdickung, Verlust der Elastizität und Einengung der Arterie. Infrage kommen an den unteren Extremitäten ein Verschluss der Aorta (große Körperschlagader), Arteria iliaca (gemeinsame Beckenarterie), Arteria femoralis (Schenkelarterie), Arteria poplitea (Kniekehlenarterie) und Arteria tibialis anterior oder posterior (vordere oder hintere Schienbeinarterie). Vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung einer Thrombose oder lebensgefährlichen Embolie, vor allem nach Operationen, Traumen, Immobilisierung oder chronisch venöser Insuffizienz (ungenügende Leistung oder Schwäche), erfolgen mit einer temporären bis lebenslangen Einnahme von Blut verdünnenden Mitteln, zur Hemmung bestimmter Gerinnungsfaktoren. Des Weiteren sind prophylaktisch frühe Mobilisation, sowohl intensive Atem- als auch Beingymnastik und Kompressionsstrümpfe wichtig. Eine Thrombose mit Ischämie (Verminderung oder Unterbrechung der Durchblutung) oder Embolie erfordert eine stationäre Notfallbehandlung zur Auflösung des Thrombus mit Antikoagulanzien (Sammelbegriff für Hemmstoffe der Blutgerinnung wie zum Beispiel Heparin). In einigen Fällen muss ein arterieller Embolus operativ entfernt werden. Unterschieden wird ein indirektes Verfahren bei dem mit einem Ballonkatheter nach Gefäßeröffnung der Thrombus abgesaugt oder ausgespült wird. Bei der direkten Embolektomie wird nach Eröffnung der Arterie unter Sicht der Embolus entfernt.

Kryoglobulinämie

Es handelt sich um Serumproteine, die bei einer Abkühlung auf plus 4 ° Celsius gelieren und als Kristalle ausfallen. Dabei kann es zur Verklumpung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Funktionsstörung der Thrombozyten (Blutplättchen) mit Schädigung der Mikrozirkulation und Blutgerinnung kommen. Des Weiteren tritt als Folge nicht selten eine Gefäßwandpermeabilität (Durchlässigkeit an den Gefäßwänden) auf. Die klinische Symptomatik und Therapie verläuft konform wie beim sekundären Raynaud-Syndrom.

Thrombangitis obliterans

Synonyme dafür sind „Buerger-Syndrom“ oder „Winiwarter-Buerger-Krankheit“. Dabei handelt es sich um eine akute Vaskulitis (entzündliche Reaktion der Gefäßwände der Venen (Phlebitis) und/oder Arterien (Arteriitis)) vor allem der peripheren Gefäße mit daraus resultierenden Nekrosen der Gefäßwände. Ursächlich liegt vermutlich eine auto-immune Entstehung zugrunde, die besonders durch einen hohen Nikotingenuss ausgelöst wird. Typisch klinisches Symptom ist ein schubförmiger Verlauf, einhergehend mit Schmerzen, Zyanose (Blauverfärbung) der Zehen und/oder Finger und letztlich als Folgekomplikation Nekrose und Gangrän. Ein Verzicht auf Nikotin ist unumgänglich. Medikamentös kommen Prostaglandin-E1-Analoga, zur Regulation und Verbesserung der Durchblutung, zum Einsatz.

Kollagenosen

Kollagenose
Foto: Renate Wolansky
3 Ursächlich liegt bei dem 66-jährigen Mann eine Kollagenose mit begleitendem Blue-toe-Phänomen vor. Alle Zehen weisen eine akrale Durchblutungsstörung auf.

Eine Vielzahl von speziellen Erkrankungen gehört zu dieser Gruppe mit Blue-toe-Phänomen. Ursächlich liegt eine systemische entzündliche Autoimmun-krankheit des Bindegewebes und Zwischengewebes zugrunde (Abb. 3). Dazu zählen zum Beispiel die progressive systemische Sklerodermie (entzündliche Erkrankung des Bindegewebes mit zunehmender Verhärtung der Haut und Organe) (Abb. 4), chronischer Lupus erythematodes (Autoimmunkrankheit der Haut und innerer Organe), Sjögren-Syndrom (progressive Autoimmunkrankheit des exokrinen Drüsengewebes), Dermatomyositis (autoimmune Myositis [Muskelentzündung] unter Einschluss der Haut) und Polymyositis (Entzündungen mehrerer Muskeln).

Syphilis

Bei der Erkrankung handelt es sich um eine meldepflichtige Geschlechtserkrankung, die in der Regel mit Penicillin behandelt werden muss. Bei der sekundären Syphilis treten plötzlich Zyanose und Schmerzen in den Zehen auf.

Perniones (Frostbeulen)

Die Bildung von Frostbeulen entsteht durch chronischen Kälteschaden an den Akren und gegebenenfalls auch an den Wangen. Dabei sind runde, livide (bläuliche) und teigige Schwellungen sichtbar. Bei Erwärmung der Haut treten oftmals Juckreiz und brennende Schmerzen auf. Im Zentrum entwickeln sich unter Umständen Hämorrhagie (Blutung), Bullae (Blasen), Ulkus (Geschwür) und letztlich Nekrosen. Perniones weisen meistens eine Akrozyanose im Sinne eines Blue-toe-Syndroms auf. Therapieempfehlungen betreffen Kälteschutz, lokal Thiobitumsalbe, Vermeidung von extremem und abruptem Temperaturwechsel und gefäßerweiternde Mittel wie zum Beispiel Nifedipin. «

Autorin
Orthopädin Dr. Renate Wolansky
Luisenstraße 26
06618 Naumburg
Foto: Eakrin/Adobe Stock
Draufsicht
Zurück
Speichern
Nach oben