Faszien – zwischen Wissenschaft und Praxis
- Erstellt: 13. Oktober 2016

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Man sagt Faszien nach, lange im Dornröschenschlaf gelegen zu haben, doch es sind wohl eher die Wissenschaft und die öffentliche Wahrnehmung, die inzwischen von den Faszien wachgeküsst wurden. Nun widmen nicht nur Physiotherapeuten und Forscher aus den unterschiedlichsten Fachgebieten dem Bindegewebe ihr größtes Interesse, auch Medien, Fitnesstrainer und Ernährungsberater arbeiten kräftig daran mit, dass Faszien in aller Munde sind.
Faszien faszinieren mich“, so hört man immer wieder Forscher sagen mit echter Begeisterung, die sich in den letzten Jahren dem Bindegewebe verschrieben haben. Sie seien ein „Wunderwerk“, das eine noch unabschätzbare Vielfalt an Funktionen im Körper übernimmt und an einer Vielzahl an Prozessen mitwirkt. Von einer „Aufbruchstimmung“ unter Faszienforschern ist die Rede, manche sprechen gar von einem Paradigmenwechsel. Die „Faszination“ ist umso größer, als man das Bindegewebe so lange unterschätzt hat: Inzwischen amüsiert man sich darüber, dass es in der Anatomie früher einfach entfernt wurde und dann unbeachtet im Abfall landete. Oder empfindet einen leisen Schauer angesichts dessen, dass es in Operationen gerne großzügig durchschnitten wurde und teilweise noch wird, um an die dahinterliegenden Organe zu kommen – ohne zu beachten, was man hier verletzte und zerstörte. Gemessen an dem, was man heute über Faszien weiß und an immer neuen Erkenntnissen erwartet, scheint es in der Vergangenheit geradezu ein blinder Fleck der Wissenschaft gewesen zu sein, dass die Aufmerksamkeit in erster Linie Muskeln, Knochen und dem Herz-Kreislauf-System galt – und dass diese drei Bereiche auch für therapeutische und medizinische Behandlungen viel relevanter schienen als das Bindegewebe. Die derzeitige Entwicklung hat auch die Anatomie erreicht: Während dem Bindegewebe in früheren Publikationen meist nur kleine Kapitel galten und sich der Großteil der Illustrationen Knochen, Muskeln und allenfalls noch Sehnen und Bändern widmete, veröffentlichte Dr. Carla Stecco aus Padua jüngst eine umfangreiche Anatomie der Faszien. Mit ihrer Forschungsgruppe ist sie derzeit eine der renommiertesten und aktivsten Faszienexpertinnen und hat ihren Atlas in der Tat mit faszinierenden Detailfotos unterschiedlichster Bindegewebsstrukturen des Körpers bebildert.
Was sind Faszien?
Die Faszienanatomie von Carla Stecco ist zugleich ein Plädoyer dafür, genauer einzugrenzen, mit welchen Faszien man sich jeweils beschäftigt. Sie fordert dazu auf, die betreffende Körperstelle genau zu benennen und auch die unterschiedlichen Funktionen, die die jeweiligen Faszienstrukturen erfüllen, genau zu differenzieren. Tatsächlich wird der Begriff „Faszie“ derzeit häufig recht unspezifisch verwendet, auch in der Wissenschaft ist unterschiedlich weit gefasst, was alles unter „Faszien“ zu subsumieren ist. Seit dem First International Fascia Research Congress an der Harvard Medical School in Boston 2007 setzt sich ein weit gefasstes Verständnis durch, dass Faszien mit Bindegewebe im funktionalen Sinne gleichsetzt. Es begreift Faszien als körperumspannendes und den gesamten Körper durchziehendes Netzwerk. Als solches bildet es feste Hüllen um Organe, umhüllt und durchzieht Muskeln, bildet Gelenkkapseln und ist in Form von Sehnen und Bändern direkt mit dem Knochen beziehungsweise der Knochenhaut und Muskeln verbunden. Faszien in diesem Sinne sind alle faserigen kollagenhaltigen Bindegewebsstrukturen, deren Struktur und Beschaffenheit durch Spannungsbelastungen bestimmt sind. Dies sei der „moderne Faszienbegriff“, schreibt Robert Schleip von der Ulmer Fascia Research Group in seinem neuen Buch „Faszien Fitness“. Was im Alltagsgebrauch unter Bindegewebe verstanden werde, komme diesem modernen Faszienbegriff recht nah. Viele Mediziner und Anatomen haben jedoch einen engeren Faszienbegriff, was es zu berücksichtigen gilt, wenn die unterschiedlichen Fachdisziplinen miteinander kommunizieren: Sie haben einen weit gefassten Bindegewebsbegriff, der auch Blut und Knochen umfasst – und einen engeren Faszienbegriff, der nur eine bestimmte Art von Bindegewebsblättern als Faszie bezeichnet: im Wesentlichen bestimmte Teile des muskulären Bindegewebes. Sie würden das, was die neuere Faszienforschung als Faszien beschreibt, „Binde- und Stützgewebe“ nennen (ein solches anatomisches Verständnis von Faszien und Bindegewebe des Fußes stellt Prof. Axel Brehmer ab S. 16 vor).
Körperumspannendes Netzwerk
Folgen wir hier dem weiter gefassten Faszienbegriff, so handelt es sich um kollagenes Bindegewebe, das sich aus dem Mesenchym, der Urform des Bindegewebes, entwickelt hat und sich unter dem Einfluss von Zug und Spannung in einer jeweils spezifischen Struktur im Körper formiert. Die oberflächliche Körperfaszie (Fascia corporis superficialis) umhüllt als lockeres kollagenes Bindegewebe fast den gesamten Körper und hält ihn in Form. Anhand von Mumien lässt sich feststellen, dass Faszien die Form des Körpers zu erhalten imstande sind, auch wenn die Muskelfasern weitgehend geschrumpft sind. Muskeln werden von Faszien umhüllt und durchzogen: Nicht nur der Muskel als Ganzes wird von Bindegewebe umhüllt, sondern auch die Faserbündel sowie die einzelnen Muskelfasern (Abb. 1). Faszien im weiteren Sinne umhüllen und schützen auch Organe und bilden insgesamt einen „Verschieberaum“, der die Flexibilität der Strukturen untereinander gewährleistet.
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