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12. März 2024
Redaktion
Stressfrakturen

Entspannung für die Seele – Stress für den Fuß

Wer viel Sport treibt oder wandert, glaubt, sich eigentlich etwas Gutes zu tun. Nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele. Stressfrakturen sind eine Reaktion des Knochens auf Belastungen. Entscheidend für das Auftreten einer knöchernen Reaktion ist das Missverhältnis von Belastung und Belastbarkeit. Die Stress- beziehungsweise Marschfraktur ist eine Differenzialdiagnose bei Fußbeschwerden, an die häufig nicht gedacht wird.
Stressfrakturen
Foto: SENTELLO/Adobe Stock
Stressfrakturen entstehen durch die Belastung des Knochens.

Historisches: Stressfrakturen früher und heute

1855 wurde erstmals vom preußischen Heeresarzt Breithaupt bei deutschen Soldaten eine Stressfraktur am Mittelfuß beschrieben und als Marschfraktur bezeichnet. Unter diesem Begriff erhielt dieses Krankheitsbild Einzug in die orthopädische Literatur. Verknüpft mit dem Begriff des Marschierens bestand das Bild einer Erkrankung der Füße als Folge militärischer Langstreckenmärsche. Dieses Bild ist jedoch nicht zu halten, da Stressfrakturen beziehungsweise Ermüdungsbrüche prinzipiell an jedem entsprechend belasteten Knochen auftreten können.

Zwar ist das Bild mittlerweile überholt, aber die Marschfraktur ist auch heute noch ein Thema beim Militär. Das Wehrmedizinische Institut der Bundeswehr hatte im Zeitraum von 1998 bis 2000 ­alle Fälle mit der Diagnose Marschfraktur gesichtet und dabei 204 Frakturen bei 191 Soldaten festgestellt. Über die Hälfte betraf das Metatarsale 3; zirka ein Viertel das Metatarsale 2. Die Frakturen traten überwiegend in den ersten acht Wochen nach Dienstantritt auf.

Dabei machte die Marschfraktur offensichtlich auch vor politischen Grenzen nicht halt. Im Jahr 2011 wurde ein Fallbericht publiziert, in dem ein NVA-Angehöriger aufgrund einer Marschfraktur die Anerkennung einer “Wie-Berufskrankheit” nach dem Sozialgesetzbuch 7 beantragte (Anm.: Neue Berufskrankheiten, die noch nicht in der Berufskrankheiten-Liste veröffentlicht sind, können unter bestimmten Voraussetzungen von der Berufsgenossenschaft „wie“ eine Berufskrankheit anerkannt und entschädigt werden).

Unentdecktes Krankheitsbild

Das gängige Vorurteil, dass nur intensive Märsche Frakturen verursachen, könnte dazu führen, dass Stressfrakturen im klinischen Alltag nicht ausreichend diagnostiziert werden.

Heutzutage sind nicht ausschließlich Soldaten, die lange Märsche absolvieren, die Hauptbetroffenen. Stattdessen treten Stressfrakturen vermehrt im Bereich der Sportmedizin auf. Besonders Ausdauersportler, insbesondere Frauen, leiden unter den monotonen, wiederholten Belastungen.

Die Kombination aus Osteoporose, Amenorrhoe und Essstörungen wird als „female athlete triad“ bezeichnet. Wenn man bedenkt, dass ein Verlust an Knochenmasse, wie bei Osteoporose, das Risiko für Stressfrakturen deutlich erhöht, wird das gehäufte Auftreten bei weiblichen Läuferinnen verständlich.

Anders als bei den Soldaten, bei denen typischerweise das Metatarsale 2 betroffen ist, findet man bei Laufsportlern Stressfrakturen überwiegend am Osnavikulare. Aber auch der Mittelfuß und die Tibia sind bei ihnen häufig betroffen. In letzter Zeit wird gehäuft von Stressfrakturen bei Profifußballern berichtet (z. B. der linke Fuß von Robert Huth [FC Middelsborough], ebenfalls der linke Fuß von Fabian Lustenberger [Hertha BSC] oder Tolga Cigerci [Hertha BSC] mit Stressfraktur rechter Fuß). Dies liegt mit Sicherheit daran, dass die Spieler heutzutage wesentlich größere Strecken im Spiel zurücklegen.

Aber auch Wanderer kommen in letzter Zeit gehäuft in die orthopädische Praxis. Als „Schreibtischtäter“ haben sie untrainiert eine lange Wanderung (Pilgern auf dem „Jakobsweg“) angetreten, damit den Bewegungsapparat mechanisch überlastet und werden nun mit Beschwerden an den Füßen vorstellig. In einer Vielzahl finden sich dann Ermüdungsbrüche als Ursache. Mit diesem Artikel soll der Fokus auf diese Differenzialdiagnose gelenkt werden, um auch die Podologen für diese Diagnose zu sensibilisieren.

Es ist also durchaus möglich, dass körperliche Betätigungen wie sehr viel Sport oder häufiges wandern zwar der Seele gut tun, dem Körper aber auch schaden können.

Pathogenese: Was stresst den Knochen?

Eine Stressfraktur beziehungsweise -reaktion entsteht als Folge einer lang andauernden, sich ständig wiederholenden Belastung des Knochens. Dabei wird im Sinne einer Materialermüdung die Toleranzgrenze des Knochens überschritten.

Der Knochen – als lebende Materie – befindet sich im ständigen Umbau durch knochenaufbauende Osteoblasten und knochenabbauende Osteoklasten. Somit hat er die Möglichkeit der ständigen Erneuerung, der Regeneration und – wie zum Beispiel auch die Muskulatur – zur Adaptation an Belastungen. Allerdings benötigt er dafür ausreichend Zeit.

Bei kontinuierlicher, starker Überlastung ohne ausreichende Erholungsphasen finden Umbauprozesse statt, die dem Materialermüdungsprinzip entsprechen. Lang anhaltende Belastungen führen zu Anpassungsmechanismen im Knochen. Überschreitet die regelmäßige Belastung die individuelle Toleranzgrenze, können Strukturveränderungen auftreten, die als Stressreaktion oder Stressfraktur bezeichnet werden.

Mit zunehmender Belastung können Mikrofrakturen auftreten. Knochenresorptionen können bereits nach 14 Tagen nachgewiesen werden, während periostale knöcherne Reaktionen in der Regel nach drei Wochen erkennbar sind.

Klinik: Welchen Stress macht der Knochen dem Patienten

Wichtig für die Diagnosestellung ist die Anamnese. Typisch ist in der Frühphase der belastungsabhängige Schmerz, der in Ruhephasen wieder verschwindet und sich bei der Untersuchung in einem gut lokalisierbaren punktförmigen Druck- oder Klopfschmerz zeigt. Im weiteren Verlauf tritt der Schmerz immer früher nach Belastungsbeginn auf und bleibt schließlich auch in Ruhephasen bestehen, so dass er später kontinuierlich vorhanden ist. Erst jetzt kommt es auch zu Reaktionen der umgebenden Weichteile mit Schwellung, Rötung oder Überwärmung. In der Spätphase tritt eine spindelförmige Verdickung im Bereich des betroffenen Knochens auf.

Die wichtigsten klinischen Differenzialdiagnosen zur Ermüdungsfraktur sind Pathologien an den Sehnen – also die Tendopathien oder Insertionstendopathien.

Diagnostik: Dem Stress am Knochen auf der Spur

Die bildgebende Diagnostik mit Nativ-Röntgenaufnahmen ist frühestens zwei bis vier Wochen nach dem erstmaligen Auftreten von Symptomen positiv. Eine frühere Diagnostik ist nur mit einer Szintigraphie oder einem MRT möglich. Die Szintigraphie ist sehr sensitiv, aber unspezifisch. Mit ihr können bereits 72 Stunden nach Beschwerdebeginn Mehrbelegungen nachgewiesen werden. Die MRT-Untersuchung ist zur Früherkennung als Goldstandard anzusehen. Im MRT können vier Stadien unterschieden werden:

  • Grad 1: periostales Ödem;
  • Grad 2: periostales Ödem und Mark-ödem;
  • Grad 3: Marködem in T1 und T2 gewichteten Bildern;
  • Grad 4: Frakturlinie.

Die Grade 1 und 2 sind sogenannte Stressreaktionen, während es sich bei Grad 3 und 4 um Stressfrakturen handelt.

Therapie: Life-Work-(Walk)-Balance für den Knochen

Die bevorzugte Behandlung für die meisten Stressfrakturen ist eine konservative Therapie. Eine Entlastungsbehandlung führt in der Regel innerhalb von sechs bis acht Wochen zur vollständigen Heilung.

Entlastung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die betroffene Extremität oder Fußregion vollständig entlastet werden muss. Auch eine Anpassung der Belastung durch Veränderungen der Bewegungsmuster kann als Entlastung dienen. Bei Ausdauerläufern wurde beobachtet, dass eine Änderung ihres Trainingsplans zu einer gezielten Belastungsänderung führen kann, was wiederum zur Heilung der Fraktur beitragen kann.

Eine alternative Therapieoption ist der Einsatz extrakorporaler Stoßwellentherapie, die auch bei Pseudoarthrosen eingesetzt wird.

Aktuell werden medikamentöse Therapieansätze verfolgt. Prinzipiell ist eine Vitamin-D3-Supplementierung sinnvoll.

Die Gabe von Bisphosphonaten, die aus der Osteoporosebehandlung bekannt sind und die Osteoklastenaktivität hemmen, scheinen – unter Berücksichtigung der Pathophysiologie der Stressfraktur – ein sinnvoller Ansatz zu sein. Die Datenlage für diese Behandlung ist allerdings noch unzureichend. Das Kalzitonin – ebenfalls ein Medikament aus der Osteoporosetherapie – hemmt die Knochenresorption, stimuliert die Osteoblasten und hat zudem schmerzlindernde Effekte. Es ist jedoch sehr teuer.

Durchblutung fördern

Ein anderer Ansatz favorisiert die Gabe von ASS, beziehungsweise Aspirin, um die Zirkulation der minderdurchbluteten Areale im Bereich der Stressfraktur günstig zu beeinflussen, in dem ASS die Thrombozytenaggregation durch Hemmung der Cyclooxygenase hemmt.

Nicht alle Stressfaktoren sollten konservativ behandelt werden. Die MTK-5-Basis-Fraktur sollte beispielsweise zeitnah mit einer Zugschraubenosteosynthese behandelt werden, da bei Abheilung unter konservativer Behandlung ein hohes Rezidivrisiko besteht. Auch die Stressfraktur des Os navikulare am Fuß sollte operativ versorgt werden.

Für die Therapieplanung wird deshalb zwischen Niedrigrisiko-Frakturen und Hochrisiko-Frakturen unterschieden. Die Niedrigrisiko-Frakturen zeigen ­einen schnellen und unkomplizierten ­Verlauf. Hierzu zählen Frakturen am Außenknöchel, am Fersenbein, an den Mittelfußknochen 2 – 4 und am Oberschenkelschaft. Für diese Frakturen ist die konservative Behandlung die Therapie der Wahl.

Hochrisiko-Frakturen, wie Frakturen des Oberschenkelhalses, der Kniescheibe, des Knöchels und anderer spezifischer Bereiche wie der Sesambeine, des Sprungbeinhalses, des Os navikulare am Fuß, des proximalen fünften Mittelfußknochens sowie des Tibiaschaftes, sind mit einem erhöhten Risiko für verzögerte Heilung und langwierige Genesung verbunden. Die Behandlung dieser Frakturen erfordert eine sorgfältige Überlegung hinsichtlich des operativen Vorgehens.

Fälle aus der orthopädischen Praxis

Mit der Verbesserung der Diagnostik durch die MRT und die veränderten Lebensstile (Ernährung und Bewegung) sind in letzter Zeit vermehrt Patienten mit Stressfrakturen in der orthopädischen Praxis zu sehen. Hier werden nun drei unterschiedliche Stressfrakturen beziehungsweise -reaktionen am Knochen dargestellt.

Fallbeispiel 1

21-jährige Studentin, die im Oktober 2012 vom Hausarzt wegen Beschwerden in meine orthopädische Praxis überwiesen wurde. Die Patientin wies einen BMI von 24,6 auf, gab keine Vorerkrankungen in der Anamnese an und berichtete, im Sommer den Jakobsweg absolviert zu haben. Seitdem würden die Beschwerden im rechten Fuß bestehen. Die umgehend angefertigten Röntgenaufnahmen des rechten Fußes zeigten eine Stressfraktur am Metatarsale 2 (2. Mittelfußknochen) mit schon bestehender Kalluswolke, aber noch erkennbarer Frakturlinie. Die Behandlung erfolgte durch Verordnung eines Vorfußentlastungsschuhes. Die Kontrollröntgen­aufnahmen im November 2012 zeigten einen vollständigen Frakturdurchbau mit weiterhin bestehender Kalluswolke.

Fallbeispiel 2

Die damals 30-jährige Patientin hatte im Juli 2006 am Metatarsale 2 (2. Mittelfußknochen) des linken Fußes eine Stressfraktur erlitten. Sie heilte durch Entlastung (Post-Op-Schuh) mit einer deutlichen Kalluswolke knöchern aus. Anschließend war ein beschwerdefreies Laufen möglich. Im August 2015 stellte sich die nun mehr 39-jährige Patientin, die als Verkäuferin in einem Mode­geschäft überwiegend stehend arbeitet, mit Beschwerden im rechten Mittelfuß vor. Aufgrund der Anamnese und ihrer Vorgeschichte – Stressfraktur links – wurden sofort Röntgenaufnahmen angefertigt. Diese zeigten jedoch einen unauffälligen Befund. Daraufhin wurde ­eine MRT-Untersuchung veranlasst bei der eine Stressreaktion am Metatarsale 2 distal metaphysär nachgewiesen wurde. Es gelang, durch Entlastung mit einem Vorfußentlastungsschuh, eine zeitnahe Schmerzfreiheit zu erreichen.

Fallbeispiel 3

32-jähriger, schlanker Student mit einem BMI von 19,2, der sich wegen seit zwei Monaten bestehender Beschwerden im rechten Kniegelenk vorstellte. Bei der Anamneseerhebung gab er an, Freizeitfußballspieler mit hoher Trainings- und Spielintensität zu sein. An ein Trauma im Rahmen des Fußballspiels konnte er sich nicht erinnern. Die Schmerzen wurden sehr umschrieben im Bereich des lateralen Gelenkspalts angegeben.

Die körperliche Untersuchung zeigte einen umschriebenen Druckschmerz unterhalb des lateralen Kniegelenkspaltes am Tibiakopf. Ein Gelenkerguss bestand nicht. Die Meniskuszeichen waren negativ; die Stabilitätstests zeigten stabile Seiten- und Kreuzbänder. Die Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes in zwei Ebenen zeigten eine Doppelkontur im lateralen Tibiakopf. Aufgrund dieser Befundkonstellation und der anamnestischen Angaben wurde eine MRT-Untersuchung des Kniegelenks durchgeführt. Diese zeigte ein Knochenmarksödem an der proximalen Tibia- und Fibulaepiphyse und am Condylus lateralis im Sinne einer Stressreaktion beziehungsweise Mikrofraktur der Spongiosa. Der übrige MRT-Befund war unauffällig.

Die Behandlung erfolgte durch Entlastung des Kniegelenks, durch Sportkarenz, sowie Versorgung einer Kniegelenksbandage bei weiterhin voller Belastung des Kniegelenks bei Stand und Gang. Dadurch kam es in einem Verlauf von vier Wochen zu einer deutlichen Beschwerdebesserung.

Foto: Eakrin/Adobe Stock
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