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19. Juli 2017
Redaktion

Schulung und Beratung in der Diabetologie

In der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) „Diabetes-Strukturierte Schulungsprogramme“ von 2012 wird die strukturierte Schulung als eine unverzichtbare, evidenzbasierte Therapiemaßnahme des Diabetes mellitus beschrieben.

Foto: Tim Reckmann/pixelio.de

Die Autoren der NVL sehen eine Diabetestherapie ohne ausreichende Schulung des Betroffenen als schwerwiegenden Behandlungsfehler an. Diabeteswissenschaftlerin Doris Schöning vermittelt einen Überblick über das Schulungsangebot.

In Deutschland wird zur Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus die Einschreibung in sogenannte Chroniker-Programme favorisiert. Diese Disease-Management-Programme (DMP) gibt es in Deutschland derzeit für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, Frauen mit Brustkrebs, Patienten mit Asthma und COPD, Menschen mit Koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz. Zwei weitere Behandlungsprogramme – für Depression und Rückenschmerzen – sind in Vorbereitung.

Ein wesentlicher Bestandteil dieser DMPs ist es, die Behandlung unter medizinischen und wissenschaftlich belegten Standards zu sichern. Da bei chronischen Erkrankungen Betroffene im Alltag selbstverantwortlich mit ihrer Erkrankung umgehen und einen Teil der Therapiemaßnahmen selbst übernehmen und verantworten müssen, ist die Befähigung der Patienten zum Selbstmanagement entscheidend. Diese Befähigung findet bei der Diabetes ­mellitus Erkrankung in Einzel- oder Gruppenschulungen statt. Deutschland ist dabei weltweit das einzige Land, das durch die DMP den Anspruch auf strukturierte Schulungsprogramme formal verankert hat.

Schulung mit Zertifikat

Unter strukturierter Schulung wird ein systematischer und zielorientierter Prozess verstanden, in dem ein erkrankter Mensch mehr Kenntnisse (Wissen) und Fähigkeiten (Kompetenzen) erhält, um eigenverantwortlich mit seiner Erkrankung im Lebensalltag zurecht zu kommen. Nur durch ausreichend Wissen und Nachvollziehbarkeit von Krankheitsgeschehen und -zusammenhänge kann der Betroffene selbstverantwortlich Entscheidungen treffen. Diese muss der Patient täglich fällen, wenn es um seine Ernährung, sein Bewegungsverhalten, seinen Beruf, seine Freizeitgestaltung oder akuten Erkrankungen (z. B. Grippe, Hexenschuss etc.) geht.

Ziele einer guten Diabetestherapie sind die Vermeidung von akuten Komplikationen wie Unter- und Überzuckerungen und diabetesbedingte Folgeerkrankungen. Für den Betroffenen stehen allerdings die Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben und der Erhalt der Lebensqualität im Vordergrund.

In Deutschland sind derzeit 17 Schulungsprogramme zertifiziert und vom Bundesversicherungsamt (BVA) akkreditiert. Das heißt, ermächtigte Praxen können die Programme anbieten und die Kosten bei den Krankenkassen erstattet bekommen. Ein Patient muss an einem aufgeführten DMP (siehe Tabelle) aktiv teilnehmen, der Arzt benötigt ein Zertifikat, damit er die Schulung abrechnen kann und eine Schulungskraft muss ebenfalls ein Zertifikat besitzen, um die Programme schulen zu dürfen.{pborder}

Schulung für den Fuß

Alle Schulungsprogramme (außer die Kinder- und Jugendlichen-Programme, Hypos, BGAT) nehmen das Thema Fußpflege, Fußkontrolle und Schuhwerk mit auf. Im Rahmen von 45 bis 90 Minuten wird dieses Thema für die Schulungsteilnehmer präsentiert – unabhängig davon, ob ein Patient diabetesbedingte Fußveränderungen hat oder nicht. Fußpflegeverhalten wird somit  über alle Patienten gleichermaßen „ausgegossen“.

Beispielhaft möchte ich das „Barfuß laufen“ vertiefen. Alle Schulungsprogramme bezeichnen „Barfuß laufen“ als risikoreich, Verletzungen zu bekommen. Daher raten die Autoren vom barfuß laufen eher ab. Ein Mensch, der gerade seinen Diabetes mellitus diagnostiziert bekommen hat – aber keine Fußveränderungen – wird möglicherweise in seiner Lebensqualität eingeschränkt, wenn man ihm barfuß laufen verbietet. Es werden sogar Ängste erzeugt, da mit Ge- und Verboten in der Schulung gearbeitet wird.

Ebenfalls schwer zu vermitteln ist die tägliche Fußinspektion. Wenn jemand täglich seine Füße ansieht, dann werden Veränderungen kaum auffallen – es sei denn sie sind akut und gravierend (z. B. eine klaffende Wunde). Der Hinweis „Achten Sie auf Hautveränderungen“ ist für Menschen, die nicht aus dem Gesundheitsbereich kommen, schwer verständlich. Was genau sind denn gefährliche Veränderungen? Ein Mensch mit intakten Nerven an den Füßen spürt, wenn es gefährlich wird. Bei einem Menschen mit gestörten Nervempfinden kann hingegen schon eine kleine Blase höchst gefährlich werden.

Das Schulungsprogramm „Den Füßen zu liebe“ widmet sich in drei mal 90 Minuten ausschließlich dem Fuß und ist für Patienten mit peripherer Neuropathie konzipiert. Hier werden Hochrisikopatienten für ihre kranken Füße sensibilisiert. Das Schulungsprogramm ist von der DDG zertifiziert, aber nicht vom Bundesversicherungsamt akkreditiert. Somit ist es nicht abrechnungsfähig und nur in Fußzentren mit gesonderten Verträgen zu finden. Weitere zielorientierte Fußprogramme gibt es derzeit nicht.

Fazit

Die Teilnahme an Schulungsprogrammen hat das Ziel das Selbstmanagements der betroffenen Patienten zu verbessern. Patienten sollen befähigt werden, nach der Schulung ihre Selbsttherapie besser umsetzen zu können. Schulungen sind somit ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Diabetes­patienten. Die Schulung in der Gruppe stärkt den Menschen und ermöglicht den Austausch mit anderen Betroffenen.

Allerdings werden nur allgemeingültige Informationen vermittelt – unabhängig von der Situation des Einzelnen. Die Anpassung des Alltages mit der chronischen Erkrankung, beziehungsweise mit den Folgen der Erkrankung, muss der Betroffene oft alleine – oder zusammen mit seinen Angehörigen – meistern. Die Schulung zu Fußthemen spricht überwiegend Ge- und Verbote aus, unabhängig vom Grad der Fußerkrankung. «

Anschrift der Verfasserin:
Doris Schöning, Diabeteswissenschaftlerin M.sc.
Akademie für Gesundheitsberufe
Frankenburgstraße 31, 48431 Rheine
E-Mail: d.schoening@mathias-spital.de

 

Ausgabe 07-08 / 2017

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Foto: Eakrin/Adobe Stock
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